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PolitikAlgerien

Algeriens komplexes Verhältnis zu den Putschisten im Niger

8. August 2023

Die algerische Regierung kritisiert den Putsch im Niger zwar, stellt sich aber gegen eine mögliche Intervention durch die ECOWAS. Die Haltung spiegelt die enormen Herausforderungen, vor die der Putsch das Land stellt.

General Abdourahmane Tchiani bei einer Kundgebung von Anhängern der Putschisten, 6. 8.2023
Nigers neuer starker Mann: General Abdourahamane Tiani bei einer Kundgebung von Anhängern der Putschisten am 6. AugustBild: Balima Boureima/AA/picture alliance

"Wir lehnen jede militärische Intervention kategorisch ab." In deutlichen Worten bekundete der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune am Samstagabend in einem Fernsehinterview die Position seines Landes zu dem Ultimatum, das die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gegen die neue Militärjunta im Niger ausgesprochen hatte.

Ein militärisches Eingreifen im Niger sei "eine direkte Bedrohung für Algerien", sagte Tebboune wenige Stunden vor Ablauf des Ultimatums. Im Falle einer Intervention werde "die gesamte Sahelzone in Flammen aufgehen", warnte er. "Wir sind die Hauptbetroffenen. Algerien teilt eine fast tausend Kilometer lange Grenze mit dem Niger", fügte er hinzu. Algerien werde keine Gewalt gegen seine Nachbarn anwenden. Zugleich werde es "keine Lösung" ohne Algerien geben.

Wenige Tage zuvor hatte die algerische Regierung den Putsch bereits verurteilt. Es gelte, "dem inakzeptablen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung [...] ein sofortiges Ende zu setzen", hieß es aus Regierungskreisen. Der legitime Präsident des Landes sei Mohamed Bazoum.

Algeriens Dilemma

Algerien stecke in einem Dilemma, das sich auch in seiner Haltung zu einer möglichen Intervention der ECOWAS niederschlage, sagt die Politologin Hager Ali, die am German Institute for Global and Area Studies zu autoritären Systemen und den Auswirkungen von Militärputschen forscht. Außenpolitisch setzte Tebboune zwar weiter auf den traditionell blockfreien Kurs des Landes, der zu Russland und den USA gleichermaßen auf Distanz geht.

Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine lasse sich dieser Kurs allerdings nur schwerlich halten. "Denn durch den russischen Angriff hat sich Algeriens Rolle geändert: Es ist zu einem wichtigen westlichen Energielieferanten geworden." Primäre Exportpartner seien die EU-Länder, sowie die USA und Kanada. In dieser Situation hat der staatliche Öl- und Gaskonzern Sonatrach dem Wirtschaftsinformationsdienst Germany Trade and Invest (GTAI) zufolge im Jahr 2022 mit rund 60 Milliarden US-Dollar so hohe Exporterlöse erzielt wie nie zuvor. "Unter diesen Umständen das Prinzip der Blockfreiheit umzusetzen, wie das andere Länder der ECOWAS tun, ist schwierig", sagt Ali.

Schwieriger außenpolitischer Kurs: Algeriens Präsident Abdelmadjid Tebboune im Juni bei einem Staatsbesuch in MoskauBild: Sergei Karpukhin/TASS/dpa/picture alliance

Tatsächlich würde eine Zustimmung zur angedrohten Intervention der ECOWAS die Beziehungen zu Russland belasten. Zwar ist der Kurs der neuen Militärregierung zu Moskau noch unklar. Die bei Kundgebungen teils zu sehenden russischen Fahnen deuten zumindest eine gewisse Affinität der Militärs Richtung Moskau an.

Ein angespanntes Verhältnis zu Russland kann sich Algerien aber schwerlich leisten, denn die Beziehungen sind eng. So stammen mehr als zwei Drittel der algerischen Waffen von dort. Zudem ist Russland der wichtigste Ausbildungspartner des algerischen Militärs. "Allerdings birgt die Entscheidung gegen eine Intervention der ECOWAS auch das Risiko angespannter Beziehungen zum Westen", sagt Hager Ali. "Der momentan sicherste Kurs für Algerien ist es darum, die Junta zwar zu verurteilen, aber dann auch eine gewisse Grenze zur Teilnahme an einer größeren militärischen Operation zu ziehen."

Sorge um politische Kultur der Sahelzone

Zusätzlich schwierig wird die Beziehung zum Westen auch durch den Umstand, dass sich Algerien mit seiner Position zumindest in relative Nähe von Regierungen begibt, die die Putschisten offen unterstützen. Denn zwei Nachbarstaaten des Niger, nämlich Mali und Burkina Faso, haben sich offen an die Seite der Putschisten gestellt. Auch die Regierung von Guinea-Bissau hat ihre Bereitschaft erklärt, diese zu unterstützen. Alle drei Länder stehen unter der Herrschaft von Militärregierungen, die seit 2021 an die Macht kamen. Insofern steht in der Sahelzone derzeit auch die demokratische Entwicklung der Region auf dem Spiel. Die deutsche Bundesregierung hatte den Niger bislang als eines der wenigen demokratisch regierten Länder in der Region gefördert. So dürfte die Haltung Algeriens in den Hauptstädten der EU genau beobachtet werden, zumal sich die Menschenrechtslage des nordafrikanischen Landes selbst zuletzt deutlich verschlechtert hat.

Migranten aus Niger und anderen Ländern starten ihre Reise Richtung Norden, Agadez, 2018Bild: Jerome Delay/dpa/picture alliance

Dschihadismus und organisierte Kriminalität

Die Fragen der algerischen Blockfreiheit zum einen und der politischen Kultur der Sahelzone zum anderen sind nicht die einzigen Herausforderungen, denen Algerien sich gegenübersieht. Mit Sorge beobachte die algerische Regierung, wie mit dem Niger nach Libyen und Mali nun ein weiterer Nachbar in Unsicherheit und Instabilität zu stürzen drohe, heißt es in einer Analyse der Zeitschrift Jeune Afrique. Bereits jetzt sähen sich die algerische Armee und die Sicherheitsdienste des Landes zusätzlichem Druck durch Schmuggler und dschihadistische Gruppen gegenüber, so das Magazin.

Zu schaffen machen Algerien nicht zuletzt illegale Einwanderungsnetzwerke. Angaben der NGO Alarm Phone Sahara zufolge hat Algerien allein zwischen Januar und April 2023 mehr als 11.000 Menschen zurück in den Niger geschickt. Diese Abschiebungen erfolgen auf der Grundlage eines im Oktober 2021 unterzeichneten Sicherheitskooperationsabkommens, das ein gemeinsames Vorgehen gegen Dschihadismus und grenzüberschreitende Kriminalität vorsieht. Käme es zu einer Intervention, würde sich die ohnehin prekäre Sicherheitslage in der Sahelzone noch einmal verschärfen. "Die Folgen einer Intervention wären unabsehbar", sagt Hager Ali.

Politische Anspannung: Kundgebung der regierungskritischen Hirak-Bewegung in Algier, Februar 2021Bild: Mousaab Rouibi/AA/picture alliance

Wirtschaftliche Probleme

Auswirkungen könnte eine Intervention auch auf den Bau der geplanten Transsahara-Gaspipeline Nigeria-Niger-Algerien (NIGAL) haben. NIGAL soll auch die Versorgung Europas quer über die Sahelzone garantieren. Das 13 Milliarden Dollar teure und bei Fertigstellung 4100 Kilometer lange Netzwerk soll bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren können. Eine Verschärfung der Sicherheitslage hätte für den Bau von NIGAL unabsehbare Folgen, heißt es in Jeune Afrique.

So steht Präsident Tebboune auch innenpolitisch enorm unter Druck. Zwar subventioniert die Regierung mit den Einnahmen aus dem Gasgeschäft die gestiegenen Lebensmittelpreise. Doch die Not vieler Bürger kann sie nur geringfügig erleichtern. Darum versucht Tebboune die wirtschaftliche Situation des Landes zu verbessern. "Eine Intervention im Niger könnte diesem Anliegen aber in die Quere kommen", sagt Ali. "Das ist für Tebboune mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 nicht unbedingt das beste politische Szenario."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika