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Gesellschaft

Lebenslang für Halle-Attentäter

Ben Knight
21. Dezember 2020

Der Attentäter von Halle hat die Höchststrafe bekommen. Auch am Tag der Urteilsverkündung ging es noch einmal um die Frage, wie sich der junge Mann radikalisieren konnte.

Magdeburg I Prozess zum Terroranschlag von Halle
Bild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Der 28-jährige Stephan B. wurde am Ende eines 26 Tage dauernden Prozesses zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Die Richterin sprach ihn in Magdeburg des zweifachen Mordes und des versuchten Mordes in zahlreichen weiteren Fällen schuldig und stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen.

Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 aus einer antisemitischen und rassistischen Motivation heraus schwerbewaffnet versucht, in die Synagoge in Halle in Sachsen-Anhalt einzudringen. Als ihm das misslang, erschoss er eine Passantin und danach einen jungen Mann in einem Imbiss.

Abgründe

Die Richterin Ursula Mertens sagte: "Die antisemitische, von Rassenhass geprägte, Gesinnung des Angeklagten stellt ein verachtenswertes und aus tiefster Schuld bestehendes Tatmotiv dar." Sie sprach von einer "abscheulichen, feigen, menschenverachtenden Tat", die "unermessliches Leid" verursacht habe. Stephan B. habe möglichst viele Menschen jüdischen Glaubens beim Beten töten wollen.

Dass jemand jahrelang in seinem Kinderzimmer sitze und unbemerkt Waffen und Sprengsätze zusammenbaue, habe eine "neue Qualität", sagt Mertens. "Wie kommt es, dass Bildung, Familie und soziales Umfeld so versagen? Das treibt uns um." Die Richterin sagte, sie könne seiner Familie keine Schuld dafür geben, dass sie die Verbrechen nicht verhindert habe, bedauerte aber, dass niemand von der Familie ausgesagt habe. 

Der Angeklagte grinste mehrmals und rollte mit den Augen, während die Richterin das Urteil verkündete. Mehr als 40 Überlebende nahmen als Nebenkläger teil und waren bei der Urteilsverkündung anwesend.

Wäre der Attentäter in die Synagoge eingedrungen und hätte dort ein Blutbad angerichtet, wäre das wahrscheinlich der schlimmste antisemitische Anschlag in Deutschland seit dem Holocaust gewesen.

Was wir über den Attentäter wissen

Der Verurteilte ist ein 28-jähriger Deutscher, der in seinem Schlusswort kaum Reue zeigte. Er bekannte sich zu dem Anschlag, äußerte antisemitische Ansichten und leugnete den Holocaust, was in Deutschland strafbar ist.

Was in Halle geschah

Am 9. Oktober 2019 versuchte Stephan B., durch Schüsse auf das Schloss der Eingangstür in die Synagoge der Stadt Halle in Sachsen-Anhalt einzudringen. Dort hatten sich zu dem Zeitpunkt 52 Menschen zur Feier des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur versammelt. Er scheiterte mit seinem Vorhaben vor allem, weil die verriegelte massive Holztür den Schüssen standhielt.

Durchlöcherte Tür der Synagoge. Doch sie hielt stand.Bild: Getty Images/J. Schlueter

Aus Frustration erschoss Stephan B. dann zwei Unbeteiligte, die 40-jährige Passantin Jana L. und einen Gast in einem Döner-Imbiss, den 20-jährigen Kevin S., bevor er auf der Flucht auf mehrere Polizisten und weitere Passanten schoss. Erst 90 Minuten später und rund 40 Kilometer entfernt vom Tatort wurde er festgenommen.

Die Reaktion auf das Attentat

Die Tat erschütterte Deutschland vor allem wegen des Ziels des Anschlags: die jüdische Gemeinschaft in Halle, von denen sich die meisten sowie jüdische Besucher aus den USA und anderen Ländern zu der Zeit in der einzigen Synagoge der Stadt befanden.

Wäre Stephan B. tatsächlich in die Synagoge eingedrungen, wäre er für eines der schlimmsten antisemitischen Anschläge im Nachkriegsdeutschland verantwortlich gewesen. Sein Pflichtverteidiger Hans-Dieter Weber verglich die Tat mit den Verbrechen der Nationalsozialisten.

Radikalisierung im Netz

Es ist ein schwacher Trost, dass Stephan B. offenbar allein handelte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gewalttaten durch Rechtsterroristen der vergangenen Jahre in Deutschland gehörte Stephan B. weder einer neonazistischen Terrorzelle wie dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) noch einer extremistischen politischen Gruppierung an.

Stattdessen steht er für einen neuen, globalisierten Typus von isolierten Terroristen. Er radikalisierte sich in einer weltumspannenden Internet-Gemeinde von oft isolierten jungen Männern, die in sogenannten "Imageboards"-Foren zusammenkommen.

Gedenken an die Opfer von Halle im Oktober 2019Bild: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/picture-alliance

Ahnungslose Ermittler

Weil diese "imageboards" nicht moderiert werden, sind einige von ihnen zu Brutstätten von ungefiltertem Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit geworden. Anschläge wie die von Christchurch und Halle wurden live in solche Kanäle gestreamt, um Nachahmer zu ermutigen.

Während des Prozesses kam zum Ärger einiger Überlebender, die als Nebenkläger auftraten, wiederholt zur Sprache, dass die Polizei kaum in dieser sehr aktiven Subkultur ermittelte. Einige der Beamten, die als Zeugen auftraten, gaben zu, dass sie wenig über die Internet-Kultur wussten, über die sich der Verurteilte radikalisierte.

Grünen-Politiker Cem Özdemir äußerte gegenüber der DW seine Enttäuschung über die Aussagen der Beamten. Es liege in der Verantwortung der Bundesregierung und anderer Beamter, "herauszufinden, was dort vor sich geht, und nicht beiseite zu schauen und das zu überwachen", sagte Özdemir. 

"Wir haben zu viele Leben verloren, die noch am Leben gewesen wären, wenn der Staat in der Vergangenheit aufmerksamer gewesen wäre", kritisierte er.

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