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PolitikPolen

Wahlkampf in Polen: Patriotische Parolen und Wahlversprechen

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
11. September 2023

Mit Parteitagen am Wochenende sind die beiden führenden Parteien in Polen in die heiße Phase des Wahlkampfs gestartet. Angeführt werden sie vom Rechtspopulisten Jaroslaw Kaczynski und dem Liberalen Donald Tusk.

Parteitag des 2018 geschlossenen Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition in Tarnow. Oppositionsführer Donald Tusk steht auf einer Plattform in Form eines weißen Herzens - Symbol des Bündnisses - und spricht zu den Zuschauern, die im Halbrund vor ihm sitzen
Parteitag des 2018 geschlossenen Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition in TarnowBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Am 15. Oktober wird in Polen gewählt. In den letzten Wochen standen bei Regierung und Opposition Personalfragen im Vordergrund. Um neue Wählergruppen zu gewinnen, schicken die beiden Hauptrivalen - die rechtsnationale Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die größte Oppositionspartei, die liberale Bürgerplattform (PO) - mehrere umstrittene Kandidaten ins Rennen. Auf der Seite der PiS bewirbt sich der vorbestrafte Rechtsextremist Robert Bakiewicz um ein Mandat. Für die PO kämpft der radikale Bauernführer Michal Kolodziejczyk um den Einzug in den Sejm. Er hatte noch vor kurzem wilde Proteste gegen die Agrarpolitik der EU organisiert. 

Nach Personaldebatten Zeit für Inhalte

Nach der Registrierung der Wahllisten am vergangenen Mittwoch (6.09.2023) kam am vergangenen Wochenende endlich die Zeit für Inhalte - mit Parteitagen beider politischen Lager. Fünf Wochen vor der Parlamentswahl hatte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski seine Anhänger zum Programmparteitag nach Konskie in Zentral-Polen gerufen, ein Heimspiel für die Rechtsnationalen, denn die Stadt gilt als deren Hochburg.

Donald Tusk spricht auf dem Wahlparteitag des Oppositionsbündnisses in Tarnow zu seinen Anhängern Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Oppositionsführer Donald Tusk dagegen wählte für den Parteitag seiner Bürgerplattform die Stadt Tarnow im Süden des Landes - eine sehr konservative und damit für seine Partei besonders schwierige Gegend. Er weiß, dass seine Stammwähler aus den liberalen Großstädten für den Sieg nicht reichen. Darum muss er die Unentschiedenen für sich gewinnen. Meinungsforscher schätzen, dass zwischen fünf und 18 Prozent der Wähler noch nicht wissen, für wen sie stimmen werden.

Wahlkampf mit sozialen Wohltaten

Bei den Parteitagsauftritten am Samstag überboten sich beide Spitzenkandidaten mit sozialen Versprechen, ohne jedoch konkrete Finanzierungsquellen zu nennen.

Tusk präsentierte hundert Maßnahmen, die er in den ersten hundert Tagen nach dem Wahlsieg umsetzen will. Die lange Liste enthält sowohl ökonomische Erleichterungen für Bürger und Unternehmer, als auch die Wiederherstellung demokratischer Prinzipien. Unter stürmischem Beifall kündigte Tusk die Erhöhung des Steuerfreibetrags von derzeit 30.000 auf 60.000 Zloty (6500 bzw. 13000 Euro) an, außerdem bezahlten Urlaub für selbständige Unternehmer, Verbesserungen bei der Gesundheitsversicherung sowie Gehaltserhöhungen für die Lehrer.  

Eine wichtige Rolle in seinem Programm soll die Verbesserung der Situation der Frauen spielen. Vorgesehen ist die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, die staatliche Finanzierung der künstlichen Befruchtung sowie kostenlose Anästhesie bei der Geburt. Auch die Trennung von Staat und Kirche steht im Programm.  

Die strengen Abtreibungsgesetze in Polen lösen immer wieder Demonstrationen aus - hier eine Protestkundgebung im Oktober 2021 zum Jahrestag des Abtreibungsverbots Bild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Tusk, der ehemalige Präsident des Europäischen Rates (2014 - 2019), versprach eine schnelle Einigung mit der EU über die Auszahlung der Corona-Wiederaufbauhilfen. Wegen des Streits der PiS-Regierung mit Brüssel über die Rechtsstaatlichkeit sind diese für Polen vorgesehenen Mittel im Wert von 36 Milliarden Euro blockiert.

Kaczynskis national-katholischer Gegenentwurf

In Konskie stellte Kaczynski unterdessen sein Programm als national-katholischen Gegenentwurf zu den liberalen Ideen von Tusk vor. Im Mittelpunkt: die traditionelle Familie (mit Vater und Mutter), der Schutz des Lebens, darunter der Ungeborenen, sowie der starke souveräne Nationalstaat. Der PiS-Chef kritisierte die Gerichte als eine Institution, die viel Macht besitze, aber außerhalb jeder Kontrolle stehe und nicht gewählt sei. "Die Macht muss in den Händen der Nation sein", betonte Kaczynski. Er warf seinem Widersacher Tusk vor, der wolle das Land Deutschland und Russland unterwerfen. Die PiS dagegen wolle aus Polen ein "Schwergewicht" machen. "Unsere Feinde haben versucht, Polen zu zerstören. Sie sind dabei total gescheitert",  sagte er.   

PiS-Chef Jaroslaw KaczynskiBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Kaczynski pries die bereits eingeführten Sozialleistungen - vor allem das Kindergeld in Höhe von 500 Zloty (110 Euro), das ab kommendem Jahr auf 800 Zloty (173 Euro) steigen werde. Außerdem schlug er ein Renteneintrittsalter für Frauen nach 38 Berufsjahren und für Männer nach 43 Berufsjahren vor. Diese Idee war in den vergangenen Jahren immer wieder ins Gespräch gebracht, aber wegen zu hoher Kosten verworfen worden.

Kurioser antideutscher Wahlwerbespot der PiS

Unterdessen macht ein Wahlwerbespot der PiS die Runde, in dem ein angeblicher deutscher Botschafter Kaczynski anruft, um ihm Anweisungen aus Berlin zu geben. Dabei geht es ebenfalls um das Renteneintrittsalter.

Der Spot spielt auf ein Gespräch an, dass Tusk als Regierungschef im Jahr 2011 angeblich mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel gehabt haben soll. Merkel habe ihn darin aufgefordert, das Renteneintrittsalter in Polen anzuheben. In dem Spot weist Kaczynski die Einmischung aus Berlin zurück und legt mit entschlossenem Gesichtsaufdruck auf. 

Fernsehduell zwischen den Spitzenkandidaten

Auch der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki setzte auf verbale Attacken gegen seinen Herausforderer Tusk. Er bezeichnete ihn als einen gefährlichen Politiker, der fremde Interessen vertrete. Morawiecki unterstellte Tusk, er plane polnisches Eigentum an Ausländer zu verkaufen. "Er würde sogar die Ostsee und die Tatra verkaufen", warnte der PiS-Politiker. "Wir müssen Nein zu Tusk sagen und wenn er es nicht versteht, sollten wir das auf Deutsch wiederholen", spottete er. 

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki - hier bei der Gedenkveranstaltung zum 79. Jahrestag des Warschauer Aufstands am 1.08.2023 Bild: Pawel Supernak/PAP/dpa/picture alliance

Seine Vorwürfe wird Morawiecki in einem Fernsehduell mit Tusk vor der Wahl wiederholen können. Zu einer direkten Auseinandersetzung zwischen dem PiS-Chef Kaczynski und dem Oppositionsführer aber wird es nicht kommen. Tusk hatte das zwar mehrfach vorgeschlagen, doch der PiS-Chef lehnte jedes Mal ab. Wenn überhaupt, dann werde sich Kaczynski gleich mit "Tusks deutschem Chef" Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei, messen, so seine sarkastische Antwort. In Wirklichkeit hat Kaczynski aber möglicherweise sein Trauma aus der Fernsehdebatte von 2007 noch nicht verarbeitet. Damals verlor der PiS-Vorsitzende erst das Duell mit Tusk und danach auch die Wahl.

Vorsprung für Kaczynski?

Kaczynski ist sich bewusst, dass er im direkten Vergleich mit dem geschliffenen und erfahrenen Tusk die schwächeren Karten hat. Darum hat er diesmal auf eine Kandidatur in der Hauptstadt Warschau, wo sich auch Tusk um das Mandat bewirbt, verzichtet und ist nach Kielce in Zentral-Polen ausgewichen. Dort gilt sein Sieg als garantiert.  

"Das Parteien-Duell am Samstag hat die Partei von Donald Tusk gewonnen", kommentierte am Montag (11.09.2023) der Publizist Michal Szuldrzynski die Wahlparteitage vom Wochenende. In der führenden polnischen Zeitung Rzeczpospolita schrieb er: "Jetzt steht die PO vor einer noch schwierigeren Aufgabe. Sie muss die Menschen überzeugen, dass sie glaubwürdig ist und ihre Wahlversprechen einlösen kann."

Freie Wahl - aber auch fair?

In den Umfragen führt die PiS mit leichtem Vorsprung vor der PO. Wahrscheinlich wird jedoch keine der beiden Parteien allein regieren können. Am 1. Oktober soll in Warschau ein "Marsch einer Million" für Frauenrechte stattfinden. Dazu aufgerufen hat Oppositionsführer Tusk. Er hofft, dass der Marsch seine Anhänger mobilisieren und seiner Partei einen Vorsprung bringen wird.

Doch die PiS hat alle verfügbaren Ressourcen samt der Staatsmedien und der Finanzreserven der Staatsbetriebe in die Wahlschlacht geworfen. Zusammen mit der Parlamentswahl soll ein Referendum stattfinden, für dessen Finanzierung im Gegensatz zur Wahl keine strengen Regeln gelten. Unter anderem deshalb meinen viele Polen, dass diese Wahl frei aber nicht fair sein wird. 

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.